Leseprobe

4. Juli 2010
Mein Leben begann mit einer für mich völlig normalen Kindheit, inmitten von vier Geschwistern und getragen von Eltern, die trotz vieler Probleme zusammenblieben, bis dass der Tod sie geschieden hat.
Wann begann mein Leben von der Normalität abzuweichen? Im Rückblick weiß ich: von Anfang an. Frühgeburt, geringe Lebenschancen, damals 1954 im Oktober, noch ohne Brutkasten. Die Geburt, ausgelöst durch einen Unfall meiner Mutter, die noch dringend bei Gewitter und Regen mit der hohen Leiter Äpfel vom Baum pflücken wollte. Mein großer Bruder, vier Jahre alt, und meine große Schwester, ein Jahr und fünf Monate, waren auch beim Unfall dabei.
Am 5. Oktober sollte und wollte ich das Licht der Erde erblicken, notgetauft auf den Namen meines Onkels Hermann. Am dritten Tag assistierte er bei meiner Notoperation, die wegen eines fehlenden Darmausgangs notwendig war. Josef war der Name meines Großvaters mütterlicherseits.
Nun war ich auf der Welt, bedürftig und auf Hilfe angewiesen und mit einem fehlenden Darmausgang, notoperiert, um leben zu können. Das so begonnene Leben konnte und musste oder wollte ich weiterführen, begleitet von verschiedenen Verletzungen. Bis in die Zeit der Grundschule hatte ich immer irgendwo ein Pflaster, hingefallen, angestoßen beim Gehen, Laufen, Rennen und Spielen.
Heute denke ich, es war wichtig für mich, die Verletzungen zu sehen, den Schmerz zu spüren, um mich in meinem Körper zu spüren und wahrzunehmen, dass mein Leben an die Körperlichkeit gebunden ist. Heute spricht man von Borderlinern, von Grenzgängern, die sich noch entscheiden können, ob sie in das Leben gehen wollen, in die feste Form der polaren Welt mit all ihrer Verletzlichkeit und Bedingbarkeit.